Der Langenchursdorfer Sehling-Altar

Die Langenchursdorfer Kirche besitzt ein altes Altargemälde, welches heute an der Südwand auf der Empore angebracht ist. Es sei „nicht ohne Werth, aber sehr übel behandelt worden“, weiß die Sächsische Kirchengalerie 1845 zu vermelden. Es zeigt den Gekreuzigten, dessen Blut von zwei Engeln in Kelchen aufgefangen wird. Zu seiner Rechten kniet ein Mann in schwarzer Robe, der vom Blut Jesu aus dessen Seitenwunde getroffen wird. Zu seiner Linken knien eine Frau und ein kleines Kind. Im Hintergrund erahnt man die Silhouette einer Stadt mit einer Brücke. Während die Frau und ihr Kind den Betrachter beinahe fröhlich anlächeln, blickt der Mann verhärmt und verzweifelt zum Heiland empor. Das Gemälde war Teil eines barocken Säulenaltars, dessen Säulen und Gesims noch vorhanden sind. Ein reich verzierter und mit goldener Sonne bekrönter Schalldeckel, Zeugnis des Umbaus zu einem Kanzelaltar, flankiert von zwei Apostelfiguren, schließen das Ensemble nach oben ab.


Altarbild in der Langenchursdorfer Kirche
unbekannter Künstler um 1640 (Foto René Fleischer)

Neben dem Gemälde hängt eine reich verzierte Holztafel, auf der in lateinischer Sprache die mit diesem Bild zusammenhängende Geschichte erzählt wird. Aber welche Geschichte verbirgt sich hinter diesem merkwürdigen Ensemble? Welche Schicksale aus grauer Vorzeit treten uns hier entgegen?
In den 30er Jahren des 17. Jahrhunderts hatte der seit 1618 tobende 30jährige Krieg längst auch unsere Region erreicht. Die Historiker werden später diese Phase des Krieges als die verheerende bezeichnen. Söldner zogen marodierend durch das Land. Es machte keinen Unterschied, ob es sich um Verbündete oder Feinde handelte. Es wurde geplündert, geraubt, gebrandschatzt, erpresst, vergewaltigt, gefoltert. Ein Menschenleben galt nichts. Nüchterne Zahlen nur vermeldet das Kirchenrechnungsbuch aus jener Zeit, gibt karge Auskunft über die Reparaturen an Kirche und Schule, die durch den Vandalismus der durchziehenden Kriegsvölker notwendig wurden. Das Ausmaß des damit verbundenen menschlichen Elends kann man nur erahnen.

In diesen Jahren amtierte in der Parochie Langenchursdorf der junge Pfarrer Adam Sehling. Er stammte aus Schlackenwerth in Böhmen, dem heutigen Ostrov, wo er am 3. Februar 1608 als Sohn eines Schneiders geboren wurde. Der Sieg des katholischen deutschen Kaisers über den protestantischen böhmischen Adel zwang auch seine Familie, Böhmen zu verlassen. Adam Sehling studierte ab 1624 in Wittenberg Theologie, arbeitete ab 1629 als Hauslehrer in Glauchau und wurde im September 1633 im Alter von 25 Jahren als Pfarrer nach Langenchursdorf berufen. Er trat hier die Nachfolge des Magisters Georg Crusius an, dessen porphyrne Grabplatte sich noch heute an der Außenseite der Sakristei unserer Kirche befindet. Pfarrer Crusius war 44jährig gestorben und hatte mehrere unmündige Kinder hinterlassen. Adam Sehling nahm sich der verwaisten Familie an und heiratete, wohl 1634, die älteste Tochter des alten Pfarrers, die 1614 geborene Christiane Walpurgis. Ein Zeichen der Hoffnung in einer sonst so trostlosen Zeit. Dem Paar wurde im Mai 1635 eine Tochter geboren, die jedoch nur 3 Monate lebte. Dieser Schicksalsschlag hat die junge Familie sicher hart getroffen, denn Pfarrer Sehling hielt die Erinnerung an dieses Kind in einer Zeit, als Tod und Verderben die Normalität und an der Tagesordnung waren, dauerhaft aufrecht. Doch es sollte noch schlimmer kommen.
Im Januar 1636, in einer etwas ruhigeren Periode des Krieges, hatte der Ratsherr Matthäus Winter in Zwickau zur Hochzeit geladen. Auch dies wieder ein Zeichen von Hoffnung in einer vom Krieg hart geschundenen und ausgeplünderten Stadt. Es war die vierte Ehe für den greisen Ratsherrn. Die Auserwählte war Juliana, eine Tochter des Schulmeisters und Organisten Theodor Crusius. Zu dieser Hochzeit nun war auch Adam Sehling eingeladen. Wir wissen nicht, was beide verband, außer, dass beider Familien aus dem Böhmischen, aus der Nähe von Karlsbad stammten. Eine nähere Untersuchung der kleinen Reisegesellschaft, die nach Zwickau aufbrach, könnte hier aber Aufschluss geben: Neben der Ehefrau des Pfarrers waren auch deren Schwester Sophia und Justina, eine Tante der beiden Damen mit von der Partie. Letztere wird nicht nur als Tante der Crusius-Schwestern, sondern auch als Witwe eines Theodor Crusius bezeichnet. Falls keine zufällige Namensgleichheit vorliegt, haben wir hier die Schwiegermutter des Ratsherrn vor uns…..
Bleibt die Frage, wer gab das Gemälde in Auftrag und wer war der Künstler, der dieses Werk schuf? Für Hinweise dazu wäre ich sehr dankbar.


René Fleischer; Langenchursdorf

Den umfangreichen Beitrag inklusiver aller Quellenangaben können Sie hier als PDF-Dokument downloaden.
https://region-schoenburgerland.de/wp-content/uploads/2022/02/Pfarrer-Sehling.pdf

Foto René Fleischer: Votivtafel

Die Inschrift der Tafel lautet:

/: DEO     TRIUN:    SACR:/
FOEMINAE LECTISS: ET QVA PIETATEM QUA VIR=
TUTES MULIERR: NULLI SECUNDAE
/:CHRISTIANAE WALPURGI/:
EX HONESTISS: CRUSIORUM FAMILIA DIE XIII SEPTEMBER: ANNI
M.DCXIV. HIC NATAE: XXIV. IANUAR: M.DCXXXVI
AD PELWIZ PAGUM CIS CYGNEA   SITUM IN MULDA FLUMINE
VNA CUM SORORE AC MATERTERA, REPENTE QVIDEM SED TAMEN
PIE DENATAE, QVAE VIXIT AN CS XXI AC MENS: IV. ET UNIGAM
FILIOLAM ANNAM SOPHIAM IX MAY. MDCXXXV. GENUIT
SED QVAM XII AUGUSTI EIUSDEM PRAEMISIT: CONIUGI HEU NONDUM
BIMULAE AST INCOMPARABILI ET LONGE DULCISSIMAE
/:ADAMUS SEHLINGIUS:/
PASTOR HUIUS LOCI, MARITUS, MOESTISS: AETERNAE MEMORIAE
ET FUTURAE RESURRECTION ERGO.

H                      P                       E

Heiliger Dreieiniger Gott
Frauen, lest von der an Frömmigkeit und weiblichen Tugenden beispiellosen
CHRISTIANE WALPURGIS
Der Ehrsamen Familie Crusius wurde diese Tochter am 13. September 1614 geboren und lebte 21 Jahre und 4 Monate, bis sie am 24. Januar 1636 im Flusse Mulde beim Dorfe Pölbitz, bei Zwickau gelegen, zusammen mit ihrer Schwester und ihrer Tante plötzlich, obwohl sie doch fromm lebte, von uns ging. Sie hatte eine einzige Tochter Anna Sophia, geboren am 9. Mai 1635, die uns aber am 12. August desselben Jahres vorausging. Sie war für leider nicht einmal zwei Jahre unvergleichliche und süßeste Ehepartnerin für

ADAM SEHLING
Pastor hiesiger Gemeinde, Ehemann. Zum ewigen Andenken und also künftiger Auferstehung
H  P  E


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