„Unter Zerbrechung der Fessel“

Karl Mays spektakuläre Flucht bei Kuhschnappel

Seriöse Schätzungen schreiben den Werken Karl Mays eine Verbreitung von 100 Millionen Exemplaren in deutscher und weitere 100 Millionen Exemplare in fast 50 Fremdsprachen zu. Damit gehört er nach wie vor zu den meistgelesenen Schriftstellern deutscher Sprache. Geboren wurde er am 25. Februar 1842 in Ernstthal (seit 1898 Hohenstein-Ernstthal). Damit war er Untertan des Grafen von Schönburg-Hinterglauchau. Sachse im staatsrechtlichen Sinne wurde er formell erst 1878. Dieser Fakt ist leider wenig bekannt. Als berühmtester Sohn Hohenstein-Ernstthals gilt er schon lange. Er dürfte aber auch der weltweit bekannteste Mensch schlechthin aus den gesamten Schönburgischen Herrschaften sein.

Das Gemälde „Karl May flüchtet bei Kuhschnappel“ von Torsten Hermann (Archiv des Verf.)

Kindheit, Jugend, der erste Teil seiner Ausbildung zum Lehrer und seine erste Arbeitsstelle; all diese, für jeden Menschen prägenden Momente fanden auf Schönburgischem Boden statt. Der folgende Text untersucht eine beinahe kuriose Episode aus Mays Leben, welche deutliche Spuren in seinem Werk hinterlassen hat.  

„Drittes Kapitel. Winnetou in Fesseln.

… Ich schob mich zuerst bis hinter Winnetou hinan und blieb da einige Minuten still liegen, um den Wächter zu beobachten. … Ich durchschnitt zunächst die beiden unteren Riemen. … Dann kroch ich zu Intschu tschuna hinüber, … Ich schnitt auch ihn erst unten los. … Winnetou … bewegte dann den  Arm, um seinem Vater zu zeigen, daß er nicht mehr gefesselt sei; … sie wußten nun, woran sie waren, und verschwanden augenblicklich von ihren Plätzen.“

Dieses hier stark verkürzt wiedergegebene dramatische Ereignis spielt sich im imaginären Wilden Westen Karl Mays (und seiner Leser) irgendwo zwischen Texas und Neu Mexiko ab.  Aber auch in vielen anderen Weltgegenden lässt er Gefesselte entschnappen. Manche finden das „ewige“ Gefangennehmen, Beschleichen, Belauschen, Befreien und Entkommen langweilig, für Millionen begeisterter Leser jedoch gehört gerade das zur einmaligen Faszination, die von Karl Mays Erzählungen ausgeht.

Die Karl May Höhle in unseren Tagen (Aufnahme: Andreas Barth.)

Wenn aber ein so versierter und erfolgreicher Autor dieses Motiv derart häufig variiert, muss es damit eine besondere Bewandtnis haben. Und in der Tat beschreibt unser Abenteuerschriftsteller eigenes Erleben in mehr oder weniger gespiegelter Form. Ja, er schreibt es sich regelrecht von der Seele und versucht damit, ein großes Trauma seines Lebens zu bewältigen, die langjährige Gefangenschaft. Die befreiende Flucht ereignete sich allerdings in Wirklichkeit nirgends sonst als auf Kuhschnappler Flur (seit 1996 Ortsteil der Gemeinde St. Egidien).

Am 2. November 1868 wird Karl May „in Folge Allerhöchster Gnade“ acht Monate vor Ablauf seiner vierjährigen Haftstrafe aus dem Arbeitshaus auf Schloss Osterstein zu Zwickau entlassen. Trotz guter Vorsätze gerät er bald wieder auf die schiefe Bahn. Er selbst nennt als Gründe dafür Vereinsamung, innere Anfechtungen und labile psychische Verfassung, aber auch den kleinstädtischen Klatsch in seiner Heimatstadt.
Die krisenhaften Seelenzustände entladen sich wie schon 1864/65 in einer Serie krimineller Handlungen, darunter mehrere Diebstähle und Schwindeleien, aber auch Hochstapeleien. May muss sich vor polizeilichen Nachstellungen verbergen. Als Versteck dient ihm kurzfristig auch ein alter, im 17. Jahrhundert für bergbauliche Zwecke in den Fels gehauener Stollen im Oberwald, der mitunter „Eisenhöhle“ genannt wurde.
Dieser unterirdische Gang ist heute als „Karl-May-Höhle“ bekannt. Häufig wird sie von Wanderern aufgesucht, die nicht nur wegen ihrer idyllischen Lage am Pechgraben hierher kommen, sondern auch auf den Spuren Karl Mays wandeln. Nur wenige ihrer Besucher wissen jedoch, dass der nur ein paar hundert Meter entfernte ehemalige Serpentinitsteinbruch und die „Höhle“ selbst bis 1998 zur Kuhschnappler Gemarkung gehörten.

Als May am 2. Juli 1869 in Ernstthal verhaftet wird, legen ihm die Ermittlungsbehörden mehrere Straftaten zur Last. Er gesteht aber nichts. Zwecks genauer Aufklärung beraumt man Lokaltermine an. Am 26. Juli wird er nur in Begleitung des unbewaffneten Beifrohns Clemens Posselt….

Die spannende Langfassung können Sie hier als PDF-Dokument (inkl. Quellenangaben sowie weiterer Bebilderung, 1,2 MB) downloaden…


Autor des Beitrags: ANDREAS BARTH

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