Gersdorf, der Geburtsort der Zuckertüte!

Ein persönlicher Bericht von Bürgermeister Erik Seidel

Bis etwa 2010 stritten sich Jena und Dresden, wer denn die Geburtsstadt der Zuckertüte sei. Es gab schriftliche Ersterwähnungen von 1817 und 1820. Dann nahm ein Hamburger Ex – Lehrer ihnen die Hoffnung auf den süßen Titel. Der Schulanfangsforscher Hans – Günter Löwe entdeckte eine noch ältere schriftliche Quelle: Der Pfarrersohn Karl – Gottlieb Brettschneider aus Gersdorf (bei Zwickau) schrieb 1782 in seinen Erinnerungen, dass er zum Schulanfang vom Schulmeister eine Zuckertüte erhielt. Er fand das deshalb erwähnenswert, weil er seine Enttäuschung über den zweiten Schultag äußern wollte. Er glaubte, die süße Überraschung gäbe es ab sofort täglich. …“

Mit diesem Text beginnt ein Beitrag, erschien am 12. August 2018 in der Morgenpost am Sonntag, über die Tradition der Zuckertüten. Der Verfasser Jan Berger suchte nach dem vermeintlichen Gersdorf (https://www.gemeinde-gersdorf.de/ )und kontaktierte mich. Sein Artikel basierte zum Teil auf einem Buch von Hans – Günter Löwe mit dem Titel „Ein Beitrag zur Geschichte der Schultüte“. In diesem Buch erwähnte der Verfasser ein „Gersdorf bei Hohenstein“ als Ursprung der Zuckertüte. Jetzt war natürlich mein Ehrgeiz geweckt, genaueres über unseren Ort als Wiege der Zuckertüte zu erfahren. Mein Schlachtplan war schnell gemacht: Zuerst Kontakt zu Herrn Löwe aufnehmen, dann in den alten Kirchenbüchern nachforschen lassen, ob es über einen Pfarrersohn Karl – Gottlieb Brettschneider in den Gersdorfer Kirchenbücher einen Eintrag gibt und wenn möglich das Original des erwähnten Buches über seine Erinnerungen auftreiben.

„Verlag von F. G. Müller, Gotha erschienene Buch „Aus meinem Leben. Selbstbiographie von Karl Gottlieb Bretschneider“

Ich habe mir gesagt, erst wenn ich das alles zusammen habe kann ich ruhigen Gewissens darüber öffentlich berichten. Herr Löwe hat mir sein Buch zur Verfügung gestellt, in dem aber nicht mehr stand, als ich aus dem Zeitungsartikel schon wusste. Nächster Anlauf beim Pfarramt. Unter dem Siegel der Verschwiegenheit wurde nachgeforscht und es gab tatsächlich ein Ergebnis. Der Kirchenbucheintrag lautet:

Illustration von Ina Hall, Pixabay

„Karl Gottlieb Bretschneider wurde in Gersdorf am 11. Februar 1776 in der Früh halb 3 Uhr geboren und hier am 14. Februar 1776 getauft. Der Vater ist Johann Gottlieb Bretschneider, Pastor allhier. Die Mutter ist eine Johanna Christiana geb. Küttner aus Pleiße.“

An dieser Stelle mein Dank an die fleißigen Helfer im Pfarramt für die wichtige Zuarbeit. Nun hatte ich mir noch das ehrgeizige Ziel gesetzt, ein Original des Buches von Karl – Gottlieb Bretschneider mit seinen Erinnerungen aufzutreiben, um die wichtigen Textzeilen über die geschenkte Zuckertüte zum Schulanfang wirklich belegen zu können. Nach langen Recherchen im Internet ist es mir tatsächlich gelungen, ein Exemplar des Buches über ein Internetantiquariat angeboten zu bekommen.
Aus dem Bibliotheksnachlass des „Prediger – Seminars der Braunschweigischen Evangelischen Landeskirche in Wolfenbüttel“ erstand ich das 1851 im Verlag von F. G. Müller, Gotha erschienene Buch „Aus meinem Leben. Selbstbiographie von Karl Gottlieb Bretschneider“

Im Kapitel „1. Das älterliche Haus“ steht auf Seite 3: „Dort (Gersdorf d.V.) wurde ich am 11. Februar 1776 früh halb 3 Uhr geboren und den 14. Februar getauft, von 10 Kindern, die mein Vater zeugte, das neunte. Ich erinnere mich noch, wie ich mit einem neuen A-B-C- Buch und einem neuen Katechismus nebst schönem Griffel in die Dorfschule zu Gersdorf eingeführt wurde und eine Zuckertüte von dem Schulmeister bekam, und wie ich glaubte, daß ich alle Tage eine solche erhalten würde, und daher sehr befremdet war, an den folgenden Tagen nichts zu empfangen. …“

Wenn wir davon ausgehen, dass der kleine Karl mit 6 Jahren eingeschult wurde, ist die Zuckertüte zur Einschulung in Gersdorf tatsächlich erstmals auf das Jahr 1782 datiert und erwähnt. Es wurde auch genau eine Zuckertüte erwähnt und keine Tüte mit Süßigkeiten oder Zucker und es wurde auch nicht anders umschrieben. Also liebe Dresdner und Jenaer, es stimmt wirklich, in Gersdorf wurde schon 35 Jahre vorher über eine Zuckertüte zur Schuleinführung berichtet und muss damit als Geburtsort dieser, als wissenschaftlich belegt gelten. Somit hat sich ein neues Kapitel in der Gersdorfer Geschichte geöffnet und wird bestimmt auch bald seinen festen Platz in unserer Chronik finden.

Ich möchte noch kurz anmerken, dass Karl – Gottlieb Bretschneider 1794 an der Universität Leipzig immatrikulierte. 1804 promovierte er an der Universität Wittenberg. Später wurde er Pfarrer in Schneeberg und Annaberg. 1816 wurde er Generalsuperintendent in Gotha, wo er bis zu seinem Tode am 22. Januar 1848 laut Wikipedia, bedeutend literarisch tätig war.

Bürgermeister Erik Seidel, Gemeinde Gersdorf
Erik Seidel

Autor des Berichts: Erik Seidel
Gersdorf, den 11.06.2020

Im Weiteren wurde in der Festschrift 850 Jahre Gersdorf berichtet. PDF-Dokument

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